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Titel
Im Zeichen der Sonne. Licht und Schatten über der Alusuisse 1930–2010


Autor(en)
Knoepfli, Adrian
Erschienen
Baden 2010: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
317 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Margrit Müller, Abt. Wirtschaftsgeschichte, Sozialökonomisches Seminar der Universität Zürich

Die vorliegende Publikation befasst sich mit einem der grossen, bereits im späten 19. Jahrhundert gegründeten und bald auch in anderen Ländern tätigen Schweizer Industrieunternehmen. Die Alusuisse gehörte zu den weltweit ersten Firmen, die Aluminium auf industrieller Basis produzierten. Der Schwerpunkt dieser Unternehmensgeschichte liegt auf der Entwicklung des Konzerns während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, weil für die Zeit davor bereits mehrere Publikationen vorliegen. Im ersten Kapitel des Buches werden die zentralen Er gebnisse dieser Forschungsarbeiten für den Zeitraum 1930 bis 1950 knapp wiedergegeben.

Auf dem Hintergrund dieser Vorgeschichte fällt in den folgenden beiden Kapiteln zu den Nachkriegsjahren und der bis Anfang der 1970er Jahre vorherrschenden Hochkonjunktur vor allem auf, wie sehr sich die Bedingungen in diesem Markt verändert hatten, und zwar in verschiedener Hinsicht. Thematisiert werden einerseits neuartige Produktionsverfahren und Verwendungsmöglichkeiten für Aluminium, andererseits die neuen Konkurrenten im Weltmarkt und insbesondere die stark nach Europa drängenden Aluminiumproduzenten in den USA und in der Sowjetunion. Der Anteil der Alusuisse an der weltweiten Aluminiumproduktion ging in der Folge stark zurück, doch das Unternehmen wuchs mittels vertikaler und Diversifikation in neue Märkte und neue Produktionsbereiche. Alusuisse gründete weitere Tochtergesellschaften in verschiedenen europäischen Ländern, expandierte schliesslich in die USA, nach Lateinamerika, Australien und Afrika und stieg in der Schweiz in die Elektrizitätsproduktion ein. Ein in der Folge besonders wichtiger Expansionsschritt war die Übernahme des Chemieunternehmens Lonza. Diese breite, auf Risikoverteilung ausgerichtete Wachstumsstrategie war vorerst durchaus erfolgreich. Deren als «wilde Diversifikation» (S. 108) bezeichnete, auf den Ausbau der Geschäftstätigkeit in den USA ausgerichtete Fortsetzung in den 1970er und 1980er Jahren erwies sich jedoch im nachhinein als gravierende Fehleinschätzung und führte beinahe zum Zusammenbruch des Unternehmens. Hinzu kam, dass die Aufnahme des Handels mit Rohaluminium an der Londoner Rohmetallbörse in den 1970er Jahren das Ende der oligopolistischen Preissetzungsmechanismen einleitete und zu völlig neuen Marktverhältnissen führte.

Der Autor konzentriert sich auf die Entwicklung des Gesamtkonzerns und auf die Frage, welche Strategien die Unternehmensleitung verfolgte, um Wachstum und Rentabilität des Unternehmens zu sichern. Dieser Ansatz ist deshalb besonders aufschlussreich, weil die führenden Entscheidungsträger im Unternehmen, ihre Zielsetzungen und Visionen, ihre Erfolge oder eben auch ihr Scheitern ins Zentrum rücken. Aufgrund der in Unternehmensarchiven zugänglichen Quellen werden beispielsweise nicht nur die tatsächlich realisierten Projekte und deren weitere Entwicklung sondern auch eine Vielzahl geplanter und wieder aufgegebener Expansionsschritte beschrieben. Ebenfalls thematisiert werden die mit der Aluminiumproduktion verbundenen Umweltprobleme und wie lange es dauerte, bis die Fluoremissionen tatsächlich gestoppt und das Recycling als ein lukratives Geschäft und nicht nur als kostspielige Auflage staatlicher Stellen verstanden wurde.

Neben der Entwicklung des Konzerns interessiert stets die Frage, wie sich der Ausbau der Aktivitäten im Ausland auf die Produktionsstandorte in der Schweiz auswirkte. Darstellungen zur Verteilung der Produktion und der Beschäftigten nach Ländern und Regionen zeigen auf, wie sich die Schwerpunkte innerhalb des Konzerns verschoben. Trotz weltweiter Expansion kam dem Standort Schweiz bis in die 1980er Jahre eine zentrale Bedeutung zu: der multinationale Konzern blieb seiner Herkunft in besonderer Weise verpflichtet. Diese Sonderstellung der Schweiz ging jedoch in den 1990er Jahren verloren.

Ab Mitte der 1980er Jahren fehlen Darstellungen zur regionalen Verteilung der Geschäftstätigkeit, vermutlich weil eine klare Zuordnung wegen des raschen und wiederholten Umbaus des gesamten Unternehmens kaum noch möglich war

und auch nicht mehr viel ausgesagt hätte. Nach mehreren Jahren des Aufräumens und der Neuorientierung befand sich der Konzern gegen Ende der 1990er Jahrewieder in einem guten Zustand. Doch der in dieser Phase noch angestrebte industrielle Aufschwung blieb schliesslich aus. In den späten 1990er Jahren übernahmen einheimische Financiers die entscheidenden Positionen im Aktionariat; sie trimmten den Konzern entsprechend ihrer auf die Maximierung des «Shareholder values» ausgerichteten und von den Finanzmärkten forcierten Zielsetzungen. Im Jahr 2000 übernahm die kanadische Firma Alcan, eine langjährige Konkurrentin, die Alusuisse, und wenige Jahre später wurde das Unternehmen an den brasilianischen Bergbaukonzern Rio Tinto verkauft. Wie der Autor im abschliessenden, einen knappen Überblick über Entwicklungen im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts vermittelnden Kapitel festhält, führte dieser erneute Eigentümerwechsel zu einem «Ausverkauf sondergleichen» (S. 294). Ein Teil der von der Alusuisse aufgebauten Industriebetriebe in der Schweiz werden jedoch weiter geführt, allerdings unter anderen Firmennamen.

Dass die Geschichte der Alusuisse bis zur Übernahme durch Alcan überhaupt noch geschrieben werden konnte, ist gemäss Vorwort dem «Projektteam Alusuisse- Geschichte» zu verdanken sowie einer Konzernleitung, die für dieses Anliegen Verständnis hatte und das Projekt finanzierte. Es handelt sich somit um eine Auftragsarbeit, doch im Unterschied zu manchen «Festschriften» entspricht diese Publikation durchaus den Anforderungen an eine nach wissenschaftlichen Kriterien verfassten Unternehmensgeschichte. Die Arbeit orientiert sich an zentralen wirtschaftshistorischen Fragestellungen, stützt sich auf in Firmenarchiven zugängliche Quellen und ist sorgfältig dokumentiert. Mit seiner gehaltvollen Studie vermittelt Adrian Knoepfli wertvolle Einblicke in wirtschaftliche Transformationsprozesse, insbesondere in die einschneidenden Umwälzungen der 1990er Jahre, ein Zeitraum zu dem – wegen der üblichen Sperrfristen für den Archivzugang – kaum unternehmensgeschichtliche Studien verfügbar sind. Nicht nur die Alusuisse, auch andere Schweizer Traditionsunternehmen verloren in diesem Jahrzehnt ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit. Sie fusionierten mit ausländischen Konzernen oder wurden von im Weltmarkt besser platzierten ausländischen Unternehmen übernommen. Die wechselvolle Geschichte der Alusuisse weist somit,
trotz mancher Besonderheiten, auffallende Parallelen zur Entwicklung anderer Schweizer Unternehmen auf. Das Buch von Adrian Knoepfli ist ein wichtiger Beitrag zur schweizerischen Unternehmensgeschichte und zur Geschichte der internationalen Verflechtung der schweizerischen Wirtschaft.

Zitierweise:
Margrit Müller: Adrian Knoepfli: Im Zeichen der Sonne: Licht und Schatten über der Alusuisse 1930–2010. Baden, hier + jetzt, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 63 Nr. 1, 2013, S. 160-162.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 63 Nr. 1, 2013, S. 160-162.

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